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Laborfleisch – Die Zukunft der Ernährung oder nur eine Utopie?

Fleisch aus dem Labor mag wie Science-Fiction klingen, doch bereits am 5. August 2013 wurde das erste Labor-Burger-Patty in London der Öffentlichkeit vorgestellt und auf einer Bühne verkostet. Dieses aus tierischen Stammzellen gezüchtete Laborfleisch, auch In-Vitro-Fleisch genannt, wurde von dem niederländischen Wissenschaftler Mark Post von der Universität Maastricht entwickelt. Journalist:innen und Expert:innen hatten dort die Gelegenheit, es zu probieren. Der Preis für diese Weltpremiere? 250.000 Euro kostete das Patty.

Was ist In-Vitro Fleisch und wie wird es hergestellt?

Bei In-Vitro Fleisch handelt es sich um echtes Fleisch, für dessen Herstellung jedoch kein Tier sterben muss. Wie geht das? In-Vitro Fleisch wird tatsächlich im Labor hergestellt. Der Herstellungsprozess beginnt mit der Entnahme von Zellen, typischerweise Muskelzellen, aus lebenden Tieren. Diese Zellen werden dann in einem kontrollierten Umfeld in speziellen Behältern, den sogenannten Bioreaktoren, weiterentwickelt. Dort erhalten sie die notwendigen Nährstoffe und Wachstumsfaktoren, um zu wachsen und sich zu vermehren. Ein entscheidender Aspekt des Verfahrens ist das sogenannte Tissue Engineering, das darauf abzielt, die Zellen in eine Struktur zu bringen, die der natürlichen Textur von Fleisch ähnelt.

Die Herstellung von In-Vitro-Steaks ist deutlich schwieriger als die von einfacheren Fleischprodukten wie Nuggets. Das liegt daran, dass Steaks aus langen Muskelfasern bestehen, die eine spezifische Textur erfordern. Um diese Struktur nachzubilden, sind komplexe Technologien und präzise Wachstumsbedingungen nötig. Dadurch sind Laborsteaks derzeit teurer und aufwändiger in der Produktion.

2 Arten von Laborfleisch in der Petrischale

Aber warum gibt es überhaupt Laborfleisch?

Laborfleisch könnte eine bahnbrechende Lösung für einige der größten globalen Herausforderungen unserer Zeit darstellen. Mit dem anhaltenden Bevölkerungswachstum und dem steigenden Fleischkonsum stößt die traditionelle Fleischproduktion zunehmend auf ökologische Grenzen. In-Vitro-Fleisch verspricht hier eine Wende, da es mit weniger Ressourcen wie Land und Wasser auskommt und gleichzeitig geringere Treibhausgasemissionen verursacht als die herkömmliche Fleischproduktion. Durch die Produktion im Labor wird die Abhängigkeit von Massentierhaltung reduziert, was nicht nur den Tierschutz fördert, sondern auch die Biodiversität schont. In Zeiten der Klimakrise könnte Laborfleisch den Übergang zu einer nachhaltigeren Ernährung maßgeblich unterstützen, insbesondere auch für Menschen, die keinen vegetarischen oder veganen Ernährungsstil führen (möchten).

Welche Herausforderungen stellen sich dem Laborfleisch?

Eine der größten Hürden ist der hohe Energiebedarf, der mit der Herstellung von Laborfleisch aktuell noch verbunden ist. Der Vergleich von In-vitro Fleisch zu herkömmlichen Fleischarten auf ihre Klimawirkung zeigt differenzierte Ergebnisse, die stark von der Tierart abhängen. Auf Grundlage von Studien ist klar, dass In-vitro-Rind- und -Schaffleisch deutlich klimafreundlicher ist als konventionell erzeugtes Fleisch. Dies ist vor allem auf die geringeren Treibhausgasemissionen und den niedrigeren Ressourcenverbrauch zurückzuführen.
Allerdings gestaltet sich die Situation bei Schweine- und Geflügelfleisch etwas komplexer. Hier sind die Klimavorteile von In-Vitro-Fleisch weniger klar, da der Energieverbrauch für die Herstellung in großen Bioreaktoren nach aktuellen Studien teilweise höher oder gleich ist als der der herkömmlichen landwirtschaftlichen Produktion. Ein entscheidender Faktor für die Bewertung der Umweltbilanz von In-vitro Fleisch ist die Energiequelle, die zur Stromversorgung der Bioreaktoren verwendet wird. Wenn erneuerbare Energien eingesetzt werden, verbessert sich die Klimabilanz von In-Vitro Fleisch erheblich.

Die Akzeptanz in der Gesellschaft spielt ebenfalls eine entscheidende Rolle. Viele Verbraucher:innen sind skeptisch gegenüber Laborfleisch und stehen ihm aufgrund von ethischen und gesundheitlichen Bedenken kritisch gegenüber. Denn die erste natürliche Reaktion auf künstlich hergestelltes Fleisch ist verständlicherweise Argwohn ob seiner gefühlten „Unnatürlichkeit“.

Laborfleisch in der Petrischale

Kann man Laborfleisch schon kaufen?

In Europa ist der Verkauf von Laborfleisch, derzeit noch in der Entwicklungsphase, während in anderen Ländern wie Singapur und den USA bereits Fortschritte erzielt wurden. In Singapur ist kultiviertes Hähnchenfleisch seit Dezember 2020 in einigen Restaurants erhältlich, und in den USA haben die Regulierungsbehörden im Juni 2023 den Verkauf von Produkten zweier Unternehmen genehmigt. Zudem hat ein israelisches Start-up im Sommer 2023 die Zulassung für kultivierte Rindersteaks in der Schweiz und Großbritannien beantragt.

Für die EU stellt sich die Situation jedoch komplizierter dar. In-vitro Fleisch wird als neuartiges Lebensmittel (Novel Food) eingestuft und muss daher strenge Sicherheitsnachweise durchlaufen, bevor es zugelassen werden kann. Die Risikobewertung erfolgt durch die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA), und die endgültige Entscheidung liegt bei der EU-Kommission. Bisher hat noch kein Unternehmen einen Antrag auf Zulassung von In-vitro-Fleisch in der EU eingereicht, was darauf hinweist, dass es wahrscheinlich noch eine Weile dauern wird, bis kultiviertes Fleisch in europäischen Supermärkten oder Restaurants erhältlich ist.

In-Vitro Rindfleisch in Vakuumverpackung

Kritische Stimmen

Die Diskussion über In-vitro-Fleisch ist aber auch von einigen kritischen Stimmen geprägt. Ein zentrales Anliegen dieser Stimmen ist das verwendete Wachstumsmedium für die Stammzellen, das oft aus Fetalbovinserum (FBS) gewonnen wird. Dieses Serum stammt von ungeborenen Kälbern, was die Frage nach dem Tierwohl aufwirft, da diese Methode nicht vollständig tierleidfrei ist. Jedoch gibt es bereits viel Forschung und Fortschritt, um FBS durch pflanzliche Alternativen zu ersetzen.

Kritische Stimmen zur In-vitro-Fleischproduktion äußern darüber hinaus Bedenken hinsichtlich ihrer Auswirkungen auf kleinbäuerliche Strukturen und regionale Fleischhersteller:innen. Die Befürchtung besteht, dass der Aufstieg von kultiviertem Fleisch durch große Unternehmen den Zugang zum Markt für kleinere Betriebe erheblich erschweren könnte. Dies könnte zu einer Konzentration der Kontrolle über die Fleischproduktion führen, wodurch soziale Bindungen und wirtschaftliche Verhältnisse für lokale Produzent:innen belastet würden​.

Zusätzlich wird befürchtet, dass die Konkurrenz durch industriell produziertes Laborfleisch die Nachfrage nach traditionell erzeugten, regionalen Lebensmitteln verringern könnte. Dies könnte die Preise für hochwertige Produkte drücken und kleinen Betrieben schaden​. Solche Entwicklungen könnten letztlich die bestehenden Strukturen in der Landwirtschaft gefährden und die ländliche Wirtschaft beeinträchtigen.

Fazit

In-vitro-Fleisch birgt vielversprechende Chancen für eine nachhaltigere und ethischere Fleischproduktion. Ob es jedoch als echter Game-Changer fungiert bleibt abzuwarten. Einige Landwirt:innen erkennen im Gegensatz zu den kritischen Stimmen auch eine Chance – nämlich das Alleinstellungsmerkmal von natürlichem, grasgefüttertem Fleisch zu stärken und es zu einem höheren Preis im Vergleich zu günstigem (?), industriell produziertem Laborfleisch anzubieten. Letztendlich wird die zukünftige Rolle von In-vitro-Fleisch aber von der gesellschaftlichen Akzeptanz, der Regulierung und dem technischen Fortschritt im Herstellungsprozess abhängen.

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